„Start-ups sind für uns der Blick in die Zukunft“

Wie schaffen es Großunternehmen wie Siemens innovativ zu sein? Zum einen investiert das Unternehmen kräftig: pro Jahr mehr als vier Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Und mit offenen Labortüren: Kontakte zu Universitäten und Start-ups liefern entscheidende Impulse. Rudolf Freytag, Leiter von Innovative Ventures bei Siemens Corporate Technology, erklärt im Interview, wie Siemens in Start-ups investiert, warum das Unternehmen selbst Start-ups gründet und was Gründer erfolgreich macht.

Herr Dr. Freytag, haben Sie einen Tipp für Jungforscher wie die Software Campus-Teilnehmer, die ausgründen möchten?

Halten Sie sich an das, was State of the Art ist, so wie die Lean Start-up Methode. Die klingt zwar einfach: Ganz schnelle Iterationszyklen, um zu testen, ob die Geschäftsidee-Hypothese tatsächlich wahr ist. Also sehr, sehr viele Kundeninterviews und dann schnelle Zyklen nach Build – Measure – Learn. Getreu der Methode: wenn es nicht funktioniert, dann sollte man es möglichst schnell herausfinden. Und das ist gar nicht so einfach – erfolgreiche Start-ups machen das jedoch sehr exzessiv. Denn die Methode hilft auch, radikale Änderungen an der ursprünglichen Idee umzusetzen, um mit möglichst geringem Kapital- und Zeitaufwand in die richtige Richtung zu kommen.

Ein zweiter Rat: Start-ups sollten den richtigen Zeitpunkt finden, wann sie mit einem Großunternehmen sprechen, um Unterstützung beim Zugang zu Branchen Know-How, Märkten und Kunden zu erhalten. Wir hatten z.B. einmal ein Start-up mit einer interessanten Softwareoptimierung von Walzwerken. Es ist natürlich als Start-up extrem schwer, bei einem Walzwerk vorstellig zu werden und zu sagen ‚Wir haben eine Idee, wie man Ihre Walzstraße optimieren kann‘. Die kommen üblicherweise nicht über den Pförtner hinaus.

Wie kommt so ein erster Kontakt mit Ihnen zustande?

Der Kontakt entsteht durch gezieltes Suchen, über ein breites Netzwerk und auf Kongressen – und zwar weltweit. Natürlich melden sich auch Start-ups aktiv direkt bei uns. Der Erstkontakt kann auch durchaus an ganz ungewöhnlichen Orten passieren: Eine meiner Kolleginnen hat eines der Start-ups nicht auf einer Konferenz selbst kennengelernt, sondern sie standen zufälligerweise hintereinander an der Currywurst-Bude. Das Leben hält Überraschungen bereit und wir nutzen alle Möglichkeiten, wie auch immer diese zustande kommen.

Wie können wir uns so ein Partnering zwischen Siemens und Start-ups vorstellen?

Unsere Strategie beruht auf drei Säulen: Wir kooperieren, wir gründen und wir investieren. Siemens Venture Capital investiert seit über 20 Jahren sehr erfolgreich und ist mit etwa 800 Millionen Euro Gesamtvolumen einer der Top 10 Venture Capitalists weltweit. Damit deckt Siemens Venture Capital das Investieren ab, das Kooperieren und das Gründen von Start-ups ist die Aufgabe von Innovative Ventures, und das machen wir seit etwa 15 Jahren an unseren Standorten in Berkeley, Schanghai und München.

Mit wie vielen Start-ups haben Sie in dieser Zeit zusammengearbeitet?

Siemens Venture Capital hat in mehr als 180 Start-ups investiert. Wir bei Innovative Ventures haben etwa 20 größere Kooperationen mit Start-ups pro Jahr. Wir sprechen aber sicher mit mehr als 1000 im Jahr.

Und beim Thema „Gründen“ – wie sieht es hier aus?

Eines unserer eigenen Start-ups hier in München, Caterva, lateinisch „der Schwarm“, macht gerade einen großen Schritt nach vorne. Caterva hat ein revolutionäres Energiemanagementsystem entwickelt. Es erlaubt Haushalten, die eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und einen Batteriespeicher im Keller haben, Teile davon als eine Art „Stromparkplatz“ zu vermieten und damit Geld zu verdienen. Stromnetzbetreiber können überschüssigen regenerativen Strom dort zwischenspeichern und damit ihr Netz stabilisieren. Dieses Start-up ist Ende 2013 gegründet worden und hat mittlerweile 65 Systeme in Einfamilienhäusern installiert.

Um jedoch über das Energiemanagementsystem auf dem Strommärkten zu handeln, braucht Caterva eine Zulassung aller vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland. Die wurde vor kurzem erteilt und Caterva ist nun das erste Unternehmen weltweit, das verteilte Batteriespeicher als eine Art großen virtuellen Speicher zusammengefasst nutzen und vermarkten kann.

Start-ups wie Caterva sind ja anfangs sehr klein. Was ist wichtiger für den Erfolg: Team oder Technologie?

Eindeutig das Team. Ich habe viele Start-ups mit verbesserungswürdigen Ideen gesehen, aber ein hervorragendes Team bringt das hin. Die beste Idee und ein schwaches Team – das funktioniert im Allgemeinen nicht. Wir schauen uns in einer Kooperation auch sehr genau an, ob wir dem Team zutrauen, die Idee deutlich weiter und größer zu machen, als sie ursprünglich war. Jedes Start-up muss fokussiert anfangen, aber es muss auch eine große Vision haben. Und natürlich eine realistische Vorstellung, wie sie die Vision umsetzen.

Herr Dr. Freytag, vielen Dank für das Interview!

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